Merkmale von Hochbegabung 9: Kreativität – 1. Was ist Kreativität?

Ich schieb das 9. Merkmal vor mir her. Meine kreative Winterpause ist schon seit einer Woche vorbei, aber ich hab mich immer noch nicht zum Weiterschreiben aufraffen können. Wie soll ich Kreativität erklären?
Das Wort Kreativität wird so oft missbraucht, ich trau mich schon kaum mehr es zu verwenden. Vor allem zwei Branchen tun dem Wort Gewalt an. In der Handarbeits- und Bastelbranche steht kreativ oft gerade dort, wo nur nachgebastelt, aus Fertigprodukten die Idee eines anderen so identisch wie möglich reproduziert werden soll.
Und in Wirtschaft, Reklame und Marketing werden Hundertausende von Kreativitätstechniken erfunden, die vor allem eins zu versuchen scheinen: wahre Kreativität zu vermeiden. Man sucht nach Abkürzungen. Es soll ein Produkt herauskommen, das neu ist und kreativ wirkt, möchte aber Schmutzfüsse und die Anstrengung vermeiden.
Kreativität ist ein matschiger, undurchsichtiger, unheimlicher Sumpf. Wenn man hineingeht, lässt man sich auf ein Abenteuer ein, bei dem eben gerade nicht sicher ist, was dabei herauskommt.
Noch ein Irrtum: das man sich leer auf den Weg machen soll. Nur offen für Neues. Aber genauso wichtig ist offen für Altes zu sein. Denn Kreativität entsteht da, wo Altes und Neues aufeinandertreffen. Kreativität ist Auseinandersetzung, sich reiben, sich ärgern an dem, was ist oder verlangen nach dem, was noch nicht ist.
Dazu gehören nicht nur die besagten Schmutzfüße, sondern auch jede Menge Unsicherheit. Wer sich auf den kreativen Prozess einlässt, wer sich traut Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen, Bekanntes mit neuen Augen zu betrachten, der zieht sich selbst ein Stück weit den Boden unter den Füßen weg. Lässt sich auf einen Weg ein, dessen Ziel nicht bekannt ist.
Antworten tun sich oft genau dann auf, wenn man das Gefühl hat, zu versanden. Wenn man vor Widersprüchen den Wald nicht mehr sieht oder völlig erschöpft auf dem Sofa hängt. Nur eine kleine Pause – und WUTSCH, da ist sie, Madame Einleuchtung.
Nicht immer ist es genau die Madame Einleuchtung, die man erwartet hat.
So kann es passieren, dass man auf der Suche nach einem neuen Shampoo ist, aber statt dessen ein Bild malt.
Oder dass man ein Buch über Schmetterlinge schreiben will und statt dessen eine neue Art Leim erfindet.
Auch kann geschehen, dass man sich auf einen Vormittag nachdenken einstellt, aber dann ganz unerwartet drei Jahre beschäftigt ist. Dass man mit einer Frage loszieht, und mit 317 zurückkommt.
Auch natürlich: dass man denkt allein auf der Reise zu sein, aber einer Mitstreiterin begegnet. Oder umgekehrt: dass man gemeinsam losgeht, aber sich schon kurz nach der Abreise, die Wege trennen.
Abenteuer eben. Und genau dieses Abenteuer ist das Ziel. Die Produkte sind Nebensache. Es geht nicht darum, der Welt etwas zu zeigen, etwas zu leisten. Das ist nicht Kreativität sondern die Arbeit, die man daraus macht. Im kreativen Prozess geht es darum, den eigenen Fragen nachzugehen, die eigenen Gedanken weiterzuentwickeln, zu entdecken, was uns wichtig ist und dafür zu sorgen, dass wir unseren Zielen näherkommen. Was wir dabei entdecken, das will sich äußern. Will sich wahrmachen und Welt werden. Darum malen oder schreiben Menschen. Darum gestalten sie neue Organisationen oder neue Produkte.
Diese Reihenfolge kann man nicht umdrehen.Wenn wir das Produkt schon kennen, das am Ende unserer Suche entstehen soll (Ein neues Shampoo, das sich gut verkaufen lässt, ein Kinderbuch im Stil von J.K.Rowling, eine geniale Widerlegung von Foucault), dann haben wir dem Prozess den Garaus gemacht.
Was ist, wenn ich hochbegabt bin (vielleicht) aber keine super Noten hatte, kein Abi und nicht studiert. Sogar noch Legastenie bescheinigt bekommen habe und trotzdem scheine ich für andere ein Mysterium… dabei bin ich nur ich. Mit anderen Absichten, Gedankensprüngen, Weltverbesserin, Hochsensibl, vorsichtig mit Worten weil sie die Hälfte nur erfassen (oder noch weniger), Kreativ, nicht von diesem Stern und bis es kaum auszuhalten ist inForm getrieben und stehe auf meiner Bremse vor lauter sein wollen und nicht können.
Liebe Regine, es gibt viele hochbegabte Legastheniker*innen. In der Schule können sie ihre Intelligenz oft nicht zeigen, weil unser Schulsystem absolut nicht für Legastheniker*innen geeignet ist. Einmal, weil es so stark auf Lesen und Schreiben setzt. Aber auch weil die besonderen Begabungen kreativer Menschen (Kreativität, Querdenken, Technik, Empathie/ Soziales, Intuition, usw …) in der Schule nicht gefragt sind und auch nicht gefördert werden.
Es gibt inzwischen sehr viele Studien, die zeigen, dass Legastheniker*innen durch ihr divergentes Denken nicht weniger sondern ANDERS begabt sind. Also lass dich nicht entmutigen und mache dich auf die Suche nach deinen ganz besonderen Begabungen.