Merkmale von Hochbegabung – 8. Der Extra-Introvert-Spezialmix

Das Merkmal, über das ich dieses Mal schreiben will, ist das Verhältnis Hochbegabter zu sozialen Kontakten, zu Gruppen und Organisationen,  das Verhältnis von Öffnung nach Außen und Rückzug in die eigene Gedankenwelt. Die besonderen Eigenschaften und Bedürfnisse Hochbegabter sind von großem Einfluss auf ihren Umgang mit Öffnung und Rückzug. Und es ist besonders wichtig, dass Hochbegabte ihre Bedürfnisse erkennen und einen Rhythmus zwischen Öffnung und Rückzug finden, der ihnen erlaubt ihre Fähigkeiten zu entfalten, ihre Eigenheit zu leben und an ihren Projekten zu arbeiten.
Diesen Rhythmus zu finden, ist enorm schwer, weil in unserer Kultur auch auf diesem Gebiet wieder Eigenschaften und Bedürfnisse als negativ formuliert werden, die zu Hochbegabten genauso gehören wie ihr hoher IQ.
Aber dazu komme ich später. Jetzt erstmal ein kleiner Exkurs in die Psychologie:

Die Psychologie beschreibt das Verhältnis von Menschen zu Innen- und Außenwelt mit den Worten Extraversion und Introversion. Diese Worte sind zwei Pole, und jeder Mensch  wäre demnach irgendwo zwischen diesen beiden Polen zu verorten. Bei Wikipaedia werden als typische Charaktereigenschaften introvertierter Menschen “still, sorgfältig, scheu, reflektierend und zurückgezogen” genannt. während extravertierte Charaktere “gesprächig, bestimmt, aktiv, energisch, dominant, enthusiastisch und abenteuerlustig” seien.

Bevor wir weitergehen eine kurze Zwischenfrage. Welche Beschreibung klingt populärer? Welcher Typ wird in Kontaktanzeigen oder Stellenangeboten eher gesucht? Wer klingt sympathischer? Wer wird eher Bundeskanzler(in)?
In der Psychologie mag man die Pole vielleicht neutral betrachten – kulturell werden sie unterschiedlich bewertet. Es ist doch viel cooler extravertiert zu sein als introvertiert, oder?
Und mit welchen dieser Eigenschaften identifiziert Ihr Euch auf positive Art?
Mir selbst fällt es relativ schwer stolz auf  Stillheit, Zurückgezogenheit und Scheu zu sein.
Leichter wäre es vielleicht, wenn man die Eigenschaften so formulieren würde: schwätzt nicht, wenn sie nichts zu sagen hat, kann gut allein sein und ist vorsichtig

Aber zurück zur Psychologie: Es gibt Fragebögen anhand derer man ermitteln kann, ob eine Person eher extravertiert oder introvertiert ist.
Wenn Hochbegabte oder Hochkreative diese Listen ausfüllen taucht jedoch oft eine Besonderheit auf: sie sind extravertiert und  introvertiert. Sie müssten also eigentlich in der Mitte zwischen diesen Polen eingetragen werden – und damit hätte man Hochbegabte wieder mal grässlich missverstanden. Sie sind nämlich nicht einfach ein bisschen extravertiert und ein bisschen introvertiert, sondern zeigen oft beide Eigenschaften in extremen Maße, sie sind still und gesprächig und scheu und aktiv und reflektierend und enthusiastisch und zurückgezogen und sorgfältig und dominant und abenteuerlustig. Allerdings nicht gleichzeitig.

Dazu  demnächst mehr. Aber wenn Ihr grad ein paar freie Minuten habt, versucht doch mal, einzuschätzen, wie viel von Eurer Zeit ihr extravert seid – nach außen gerichtet, auf der Suche nach Austausch und Kontakt, offen für neues  und wie viel Zeit ihr introvert seid – mit euren eigenen Gedanken und Gefühlen beschäftigt, freiwillig allein, in der Innenwelt? Seit ihr auch extravertiert und introvertiert?
Fifty-fifty? 1 zu 100? Wo liegt für Euch der goldene Schnitt?

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Merkmale von Hochbegabung – 8 b: Extra-Introvert-Spezialmix und wie man ihn findet…

Ich hatte Euch im letzten Post gefragt, was für Euch der goldene Schnitt ist im Verhältnis von Innenwelt und Außenwelt.  Manchmal ist es allerdings schwer, darauf eine Antwort zu finden. Durch das Label “introvertiert” wird die Sache nicht einfacher, aber man kann besser drüber reden und denken.
Mir zumindest ging es so. Jahrelang dachte ich, dass ich ein großes Bedürfnis nach vielen unterschiedlichen sozialen Kontakten hätte, dass es für mich gut und wichtig sei, mehrere Abende in der Woche Termine zu haben, bei einigen Vereinen und Organisationen mitzuarbeiten, regelmäßig was Kulturelles zu unternehmen. Aber dieses Bild stammte aus meiner Studentenzeit. Neben den paar Vorlesungen in der Woche konnte ich viel Zeit mit anderen verbringen, weil ich immer noch genug Zeit über hielt, die ich allein mit mir selbst, grübelnd oder kreativ arbeitend verbringen konnte.

Als ich 33 war sah die Sache auf einmal ganz anders aus. Ich erwartete meine dritte Tochter, hatte eine interessante aber herausfordernde Stelle bei einem Forschungsinstitut in Utrecht, die mit langen Reisezeiten verbunden war, und nebenher war ich noch im Vorstand zweier Vereine. Ich verstand nicht, warum ich nicht so zufrieden war, wie ich sein sollte.

Erst als ich wegen Komplikationen in der Schwangerschaft ein paar Monate zum Nichttun verdammt wurde fing ich – langsam – an zu begreifen. Ich tat was ich Jahre nicht mehr getan hatte: nichts. 
Und nach ein paar Wochen fing etwas in mir zu sprießen. Meine kreative Energie kam ins Knistern und Sprudeln. Und dann kamen die Gedanken. Meine Gedanken. Die sich Jahre dicht hinter der Hirnoberfläche aufgestaut hatten, aber nicht die Zeit gedacht zu werden.

Seit dieser Zeit achte ich darauf Gedankenstau zu vermeiden. Das Verhältnis von Außenwelt und Innenwelt so einzurichten, dass ich die Erfahrungen, die ich mache, verarbeiten kann, und zwar so weit wie möglich zeitgleich.
Hätte ich vor dieser Erfahrung geschätzt, welches Verhältnis von Innen- und Außenwelt für mich ideal wäre, hätte ich wahrscheinlich 50:50 gesagt. Aber inzwischen denke ich eher, dass es irgendwas zwischen 1:10 und 1: 100 ist.

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Merkmale von Hochbegabung – 8 c: Extra-Introvert-Spezialmix und wie man ihn findet…

Warum brauchen viele kreative und begabte Menschen so viel Zeit für sich, für das Verarbeiten ihrer Erfahrungen, für das Entdecken und Entwickeln ihrer eigenen Gedanken und Gefühle?

1. Weil sie viel wahrnehmen (siehe Merkmal 3: Sensitivität).
Unzählige feine Antennen nehmen unzählige Massen an Informationen wahr.
So oft erzählen mir hochbegabte oder hochkreative Menschen davon, dass es sie sehr erschöpft sich länger in Gruppen aufzuhalten.
Eine Gruppe ist ein komplexes Geflecht und vor allem diejenigen, die starke soziale Antennen haben nehmen wenn sie sich in einer Gruppe aufhalten, oft schon in Minuten so viel wahr, dass sie Tage darüber nachdenken könnten.

2. Weil sie Information intensiv verarbeiten.
Jede neue Information muss auf komplexe Weise mit all den Informationen verknüpft werden, die schon im Hirn aktiv sind.

3. Weil sie so vieles interessant finden (siehe Merkmal 7).  Und wer stark assoziativ denkt sieht auch viele Zusammenhänge. Während andere Menschen oft mit einem deutlichen Fokus auf bestimmte Themen durch die Welt gehen, ihre Gesprächspartner und – themen danach auswählen, was sie vorher schon interessiert hat, sind die assoziativen und globalen Denker darin offener: wenn alles miteinander zu verbinden ist, ist alles interessant (und umgekehrt).

Wer so offen und interessiert durch die Welt läuft, lernt viel und kreiert immer mehr Verbindungen im Hirn. Andererseits aber droht dabei auch der Informations-Overkill:
dass man so viele Informationen gespeichert hat, dass man sie in diesem Leben nicht mehr verarbeiten kann.

Darum ist es wichtig, dass das Aufnehmen von Information einen starken Gegenpart hat: die eigene Motivation (Merkmal 6). Die eigene Motivation kann man aber nur fühlen und kennen, wenn man sich die Zeit nimmt, sich mit den eigenen Gefühlen und Gedanken zu beschäftigen.

Viele Hochbegabte leben in Eile, weil sie das Gefühl haben, nicht hinterherzukommen. All die interessanten Dinge, die es gibt, nicht lesen, sehen, machen oder auf andere Weise erfahren zu können.
Sie sind so mit Information beschäftigt, dass sie vergessen, sich mit sich selbst zu beschäftigen.

Das kann ein Grund für Burn-Out sein. Oder die Mid-life-Krise.
Es ist eine Sinn-Krise.
Denn der Sinn des Lebens kann nie nur im Aufnehmen liegen. Wer sein Leben nur damit verbringt Wissen zu sammeln, Information aufzunehmen, Bücher zu lesen oder Reisen zu machen, der hat sich die Welt gründlich angeschaut – aber nichts Eigenes in die Welt gebracht.

Der richtige Rhythmus zwischen Innen- und Außenwelt ist jener, bei dem auch das Eigene zu seinem Recht kommt. – der eigene Beitrag, die eigene Vision, das eigene Bild, die eigene Geschichte, das eigene Wissen – etwas, dass nur ich, nur du, nur dieser eine Mensch machen kann, weil nur dieser eine Mensch diese Erfahrung gemacht hat.

Wer besonders viel von der Welt wahrnimmt braucht manchmal besonders viel Zeit, um das Eigene zu finden. Denn vor so viel Interessantem um uns sehen wir oft das Interessante in uns nicht mehr.
Wer seine eigene Motivation kennt, wer sich bewusst ist, was er bisher erfahren hat, was er tief von innen weiß und kennt, der kann anders um sich schauen. Muss sich nicht mehr für alles begeistern, kann seiner Intuition vertrauen, kann sortieren und aktiv steuern.
Dadurch wird die Wahrnehmung nicht weniger intensiv, aber viel fruchtbarer. Statt einfach alles aufzunehmen, findet sich jetzt intuitiv der Weg zu dem, was wichtig ist.

Zeit für die eigenen Gedanken und Gefühle, Zeit um die eigene Motivation zu finden ist die Voraussetzung dafür, dass man das Potential, das man in sich trägt wahrmachen und das ganz persönliche Wissen, das man gesammelt hat in die Welt bringen kann.

Sich zurückziehen bedeutet nicht scheu oder sozial verkümmert zu sein.
Es bedeutet, sich selbst Ernst zu nehmen, die eigene Erfahrung wertzuschätzen und an der Entfaltung der eigenen Fähigkeiten zu arbeiten.

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Merkmale von Hochbegabung 9: Kreativität – 1. Was ist Kreativität?

Ich schieb das 9. Merkmal vor mir her. Meine kreative Winterpause ist schon seit einer Woche vorbei, aber ich hab mich immer noch nicht zum Weiterschreiben aufraffen können. Wie soll ich Kreativität erklären?

Das Wort Kreativität wird so oft missbraucht, ich trau mich schon kaum mehr es zu verwenden. Vor allem zwei Branchen tun dem Wort Gewalt an. In der Handarbeits- und Bastelbranche steht kreativ oft gerade dort, wo nur nachgebastelt, aus Fertigprodukten die Idee eines anderen so identisch wie möglich reproduziert werden soll.
Und in Wirtschaft, Reklame und Marketing werden Hundertausende von Kreativitätstechniken erfunden, die vor allem eins zu versuchen scheinen: wahre Kreativität zu vermeiden. Man sucht nach Abkürzungen. Es soll ein Produkt herauskommen, das neu ist und kreativ wirkt, möchte aber Schmutzfüsse und die Anstrengung vermeiden.
Kreativität ist ein matschiger, undurchsichtiger, unheimlicher Sumpf. Wenn man hineingeht, lässt man sich auf ein Abenteuer ein, bei dem eben gerade nicht sicher ist, was dabei herauskommt.

Noch ein Irrtum: das man sich leer auf den Weg machen soll. Nur offen für Neues. Aber genauso wichtig ist offen für Altes zu sein. Denn Kreativität entsteht da, wo Altes und Neues aufeinandertreffen. Kreativität ist Auseinandersetzung, sich reiben, sich ärgern an dem, was ist oder verlangen nach dem, was noch nicht ist.
Dazu gehören nicht nur die besagten Schmutzfüße, sondern auch jede Menge Unsicherheit. Wer sich auf den kreativen Prozess einlässt, wer sich traut Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen, Bekanntes mit neuen Augen zu betrachten, der zieht sich selbst ein Stück weit den Boden unter den Füßen weg. Lässt sich auf einen Weg ein, dessen Ziel nicht bekannt ist.
Antworten tun sich oft genau dann auf, wenn man das Gefühl hat, zu versanden. Wenn man vor Widersprüchen den Wald nicht mehr sieht oder völlig erschöpft auf dem Sofa hängt. Nur eine kleine Pause – und WUTSCH, da ist sie, Madame Einleuchtung.

Nicht immer ist es genau die Madame Einleuchtung, die man erwartet hat.
So kann es passieren, dass man auf der Suche nach einem neuen Shampoo ist, aber statt dessen ein Bild malt.
Oder dass man ein Buch über Schmetterlinge schreiben will und statt dessen eine neue Art Leim erfindet.
Auch kann geschehen, dass man sich auf einen Vormittag nachdenken einstellt, aber dann ganz unerwartet drei Jahre beschäftigt ist. Dass man mit einer Frage loszieht, und mit 317 zurückkommt.
Auch natürlich: dass man denkt allein auf der Reise zu sein, aber einer Mitstreiterin begegnet. Oder umgekehrt: dass man gemeinsam losgeht, aber sich schon kurz nach der Abreise, die Wege trennen.

Abenteuer eben. Und genau dieses Abenteuer ist das Ziel. Die Produkte sind Nebensache. Es geht nicht darum, der Welt etwas zu zeigen, etwas zu leisten. Das ist nicht Kreativität sondern die Arbeit, die man daraus macht. Im kreativen Prozess geht es darum, den eigenen Fragen nachzugehen, die eigenen Gedanken weiterzuentwickeln, zu entdecken, was uns wichtig ist und dafür zu sorgen, dass wir unseren Zielen näherkommen. Was wir dabei entdecken, das will sich äußern. Will sich wahrmachen und Welt werden. Darum malen oder schreiben Menschen. Darum gestalten sie neue Organisationen oder neue Produkte.

Diese Reihenfolge kann man nicht umdrehen.Wenn wir das Produkt schon kennen, das am Ende unserer Suche entstehen soll (Ein neues Shampoo, das sich gut verkaufen lässt, ein Kinderbuch im Stil von J.K.Rowling, eine geniale Widerlegung von Foucault), dann haben wir dem Prozess den Garaus gemacht.

 

 

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Merkmale von Hochbegabung 9: Hochbegabte sind kreativ – 2.Der Weg der Frage

Nachdem ich jetzt geklärt hab, was mir Kreativität ist, kann dies ja ausnahmsweise ein kurzer Post werden.
Denn die Sache ist einfach: Hochbegabte sind kreativ. Nicht unbedingt tun sie Kreatives. Aber sie denken kreativ. Sie stellen kreative Fragen und bewegen sich in ihrem Denken mutig durch den Dschungel des Ungedachten.

Dazu gebrauchen sie Merkmal 1, die Fähigkeit zum Gedankensprung. Sie tun dies im Turbotempo (Merkmal 2)  und mit geschärften Antennen (3).  Und haben – dank des Extra-Introvert-Spezialmixes – genug Zeit um ihren eigenen Gedanken nachzugehen.

Allerdings ist zufälliges Assoziieren nicht schon gleich Kreativität.  Allein das Wort Apfel erlaubt meiner rechten Hirnhälfte 317 verschiedene Richtungen einzuschlagen. Baum, Stamm, Kuchen, Wurm, Auge, Cox, Magritte und Saft – um nur ein paar zu nennen. Und von jedem dieser Wörter oder Bilder kann ich wieder in unzählige Richtungen.
Das Reich der Assoziation ist ein unendlich weites Labyrinth. Wie komme ich hier je wieder raus? Und nicht mit leeren Händen, sondern mit einem Kreativen Geistesblitz? Wenn ich mir doch kein Ziel stecken darf  (denn dagegen habe ich schließlich in meinem vorigen Post gründlichst gewettert).
Wenn ich mir nicht vornehmen darf, das Labyrinth nach Shampoo oder einen neuen Harry Potter zu durchsuchen – wie kann ich dann entscheiden, welchen der vielen möglichen Gedankensprünge ich als nächstes machen soll?

Hier kommen ein paar andere Merkmale von Hochbegabung ins Spiel. Ich habe sie als
Gerechtigkeitssinn, Weltverbesserdrang, Innere Motivation und tausend Interessen (4,5,6,7) beschrieben. Zusammen formen diese komplex-tiefsinnigen Erscheinungen etwas, das man mit großen Worten beschreiben könnte – aber lasst sie uns bei ihrem Vornamen ansprechen: die Frage.

Die Frage haben wir uns nicht ausgesucht, sie hat sich langsam und ohne dass wir es merkten in uns eingenistet, sie lässt und keine Ruhe. Und das alles ganz ohne, dass wir sie kennen. So eine Frage ist es, eine die sich nicht an uns vorstellt, die sich noch nicht in Worte fassen lässt. Aber spüren können wir sie schon. Und bei jeder Weggabelung weist sie uns den Weg. Sie ruft nicht “jetzt nach rechts”.  Oder: “nimm den dritten Weg von links”. Sie knagt und knistert. Sie zwickt und flüstert und sie lässt uns keine Ruhe und wenn wir diesem Geknister und Gezwicke lauschen, wenn wir die Augen zumachen und uns von der Frage leiten lassen, dann führt sie uns – über manchen Umweg, einige Stolpersteine und viel dunkle dunkle Nacht – an unser Ziel. An das Ziel, das wir noch nicht kannten. Das wir noch nicht kennen konnten, weil wir ja die Antwort auf unsere Frage noch nicht kennen konnten.

Kurz fassen ist nicht mein Ding und dieser Post klingt vage und holprig. Das kommt daher, dass er mit Augen zu und tastend in stockdunkler Nacht geschrieben wurde. Und fertig bin ich mit dieser Frage – Was ist Kreativität – noch nicht. Sie zwickt und knistert fröhlich weiter. Und irgendwie ist das der Charme an der Sache. Wenn wir den Kreativen Prozess irgendwann mal in deutlichen Formeln, als Rezept ausdrücken können, dann muss ich mir einen anderen Job suchen.

Denn auch das ist schließlich ein Merkmal von Hochbegabung: eine unüberwindliche Abneigung gegen Routineaufgaben und Schritt-für-Schritt-Denken.

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Merkmale von Hochbegabung 10: Komplexität

Oft kommen mir die besten Ideen  im Halbschlaf, kurz bevor der Wecker geht.
Der Halbschlaf ist ein wunderbarer Ort, an dem die komplexesten Gedankengänge sich plötzlich als ganz einfach darstellen. An dem enorme Netze von Zusammenhängen, Widersprüchen oder Anmerkungen sich ohne jede Mühe erfassen und begreifen lassen. Vor ein paar Tagen sah ich da so dämmernd wunderbare Zeichnungen vor mir. auf denen die Komplexität einer Hochbegabten bildlich dargestellt war. So ungefähr war darauf eine Frau zu sehen, die gleichzeitig ihren Kopf schüttelte, eine Unmenge an Gedanken hin-und herwälzte, mit ihren diversen Armen malte, schrieb und telefonierte und dabei auch noch ihre Beine auf sehr komplizierte Weise verknotete.

Doch als ich dann an meinem Schreibtisch saß wollten die Bilder sich nicht aufs Papier begeben. Die Bilder, die ich gerade noch so deutlich vor mir sah erwiesen sich als Fata Morgana. Sobald ich sie anfassen wollte, lösten sie sich ins Nichts auf.
Das hat wohl mit der Gleichzeitigkeit der Halbschlaf-Welt zu tun. Im Dämmerzustand kann ich verschiedene Bilder und gegensätzliche Konzepte gleichzeitig nebeneinanderher und inneinander schweben lassen. Zeichnen kann ich aber immer nur ein Bild gleichzeitig. Im Wachzustand stoße ich manchmal auf das erstaunliche Phänomen, dass mir meine eigenen Gedanken zu komplex sind. Dann fühle ich einen Moment lang die Verzweiflung, die Andere wohl oft erleben, wenn sie versuchen sich in meiner Gedankenwelt zurechtzufinden…

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Merkmale von Hochbegabung 11: Unheimlich unheimlich

Wenn ich mir die Merkmale von Hochbegabung anschaue, die ich in den letzten Wochen hier beschrieben habe, dann ist es doch eine Liste von Eigenschaften geworden, auf die man durchaus stolz sein kann. Warum sind aber dann so viele Hochbegabte nicht stolz auf ihre feine Wahrnehmung, ihren wachen Verstand, ihre Kreativität? Warum bleibt da das Unbehagen, das Gefühl, nicht ganz in Ordnung zu sein, an irgendwas Schuld?

Das liegt an der Unheimlichkeit. Denn Hochbegabte sind un-heimlich, nicht-vertraut, anders eben. Die Andersheit kann man aber nicht sehen, sie hat aber nicht die deutliche Form grüner Ohren oder doppelter Nasen. Sondern ist den anderen, Eltern, Lehrern, Klassengenossen, erst nur eine Ahnung. He, die ist anders. Die guckt so komisch. Die schaut so ernst, so tief, so intensiv. Die fragt so seltsam, Die redet so anders, die weiß so komisch viel, die spielt nicht was andere spielen, die schaut mich manchmal so eigenartig an…  Oft werden solche Wahrnehmung dem Kind in Nebensätzen oder Schlagsinnen mit auf dem Weg gegeben. Neunmalklug, Naseweis, Extragescheit, Besserwisser ( mojour hatte dazu letztens auch einen interessanten Post). Aus ihnen spricht die Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten, vor Unruhe und Veränderung.

Sich selbst unheimlich geworden, bleiben viele Hochbegabte unruhig, sich fremd, Vertrauen ihrer Wahrnehmung nicht und halten sich zurück. Darum muss Unheimlich als letztes Merkmal in dieser Liste stehen.
Aber das Schöne an unheimlich ist ja, dass es in der deutschen Sprache genau die Doppeldeutigkeit hat, die der Erfahrung von Hochbegabung inne ist: Hochbegabte sind unheimlich. Unheimlich cool, unheimlich gut, unheimlich hochbegabt, unheimlich unheimlich.

Und ich bin unheimlich froh, dass ihr mir in euren Mails und Kommentaren so viele unheimlich spannende und unheimlich lustige Gedanken zu den Merkmalen geschickt habt!

Schau auch mal auf meinen anderen Seiten vorbei:

www.begabungswerkstatt.de

Bis bald! Nathalie

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Merkmale von Hochbegabten: Merkmal 12: Die Fähigkeit tiefer Freundschaft

Es gibt inzwischen viele Versuche die besonderen Charakterzüge Hochbegabte in Worte zu fassen. Selbst hab ich hier in meiner Serie “Merkmale von Hochbegabten” elf Merkmale beschrieben, wahrscheinlich hat jeder Hochbegabte auch noch seine ganz eigenen Worte und Einteilungen. Und ich glaube dass es wichtig ist, dass jeder für sich die eigenen Erfahrungen ernst nimmt und in Worte fasst. Die eigenen Gefühle und Wahrnehmungen nicht vorschnell in bestehende Begriffe einordnet. Auch finde ich es wichtig, die gefundenen Begriffe immer wieder zu “kauen” und zu prüfen: ist das noch das richtige Wort? Habe ich neue Erfahrungen gemacht, die hier nicht mehr reinpassen? Und auf dieselbe Weise können wir uns mit den Begriffen auseinandersetzen, die andere uns anbieten. Kauen, schmecken, annehmen oder ausspucken…

In ihrem Artikel , “Can you hear the flowers sing? Issues for gifted adults” benennt Deirdre V. Lovecky
die Charakterzüge Hochbegabter mit: Divergency, Excitability, Sensitivity, Perceptivity und Entelechy. Die ersten vier begegnen uns bei mehr Autoren und auch Entelechy ist kein ganz neues Konzept: Lovecky meint mit Entelechy die besondere Motivation Hochbegabter.

From the Greek word for having a goal, entelechy bespeaks a particular type of motivation, inner strength, and vital force directing life and growth to become all the self is capable of being. Adults gifted in entelechy are highly attractive to others who feel drawn to openness, warmth, and closeness. Being near someone with this trait gives others hope and motivation to achieve their own self-actualization. Teachers, therapists, physicians, and social reformers may be among those so gifted. (…)

People gifted in entelechy bring deep feelings to a relationship. By spontaneously expressing feelings, they encourage others to do so as well. Their example of overcoming obstacles and their continuing support and interest encourage others to grow. They not only hear the flowers singing but invite others to hear them too”.
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Lovecky beschreibt hier interessante Gedanken – eine besondere Art der Beziehungsfähigkeit. Selbst finde ich es schade diese Fähigkeit dem Begriff Motivation unterzuordnen. Und hätte gerne ein schöneres Wort als “tiefe Freundschaft” dafür.

Irgendwelche Vorschläge?

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Noch ein Merkmal und das Ende der Welt! (Achtung Ironie!)

O das ist ja entsetzlich. Jetzt hab ich die ganze Serie verdorben! Ich wollte doch das Merkmal 11: Unheimlich als letztes Merkmal in der Serie nennen. Und jetzt sind mir seitdem schon zwei weitere Merkmale eingefallen. Wie konnte mir das nur passieren. Und wie kann ich mir selbst jemals wieder in die Augen sehen, ich werde alle Spiegel verhängen, mich bei lebendigem Leibe einäschern lassen, ab jetzt nur noch mit Sonnenbrille und falschem Bart durchs Leben gehen. Und es hat auch gar keinen Zwecke jemals wieder etwas zu schreiben denn es ist ja jetzt deutlich, dass ich sowieso NIE etwas zustande bringen. Und eigentlich taugt jetzt die ganze Serie nichts mehr und ich auch nicht und sowieso ist das jetzt das Ende der Welt.

Und ihr könnt euch jetzt bestimmt denken, welches Merkmal ich meine. Dass ich es vergessen hatte ist überhaupt ein Wunder, denn es ist eine Erscheinung unter der ich regelmäßig leide. Oder vielleicht hab ich es auch gerade deshalb vergessen, weil dieses Merkmal so mit mir verwachsen ist, dass ich es nicht mehr als Merkmal wahrnehme.

Dieses Merkmal ist: perfekt
eh, Perfekt-ionismus.

 

Bis bald! Nathalie

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