Merkmale von Hochbegabung – 8. Der Extra-Introvert-Spezialmix
Das Merkmal, über das ich dieses Mal schreiben will, ist das Verhältnis Hochbegabter zu sozialen Kontakten, zu Gruppen und Organisationen, das Verhältnis von Öffnung nach Außen und Rückzug in die eigene Gedankenwelt. Die besonderen Eigenschaften und Bedürfnisse Hochbegabter sind von großem Einfluss auf ihren Umgang mit Öffnung und Rückzug. Und es ist besonders wichtig, dass Hochbegabte ihre Bedürfnisse erkennen und einen Rhythmus zwischen Öffnung und Rückzug finden, der ihnen erlaubt ihre Fähigkeiten zu entfalten, ihre Eigenheit zu leben und an ihren Projekten zu arbeiten.
Diesen Rhythmus zu finden, ist enorm schwer, weil in unserer Kultur auch auf diesem Gebiet wieder Eigenschaften und Bedürfnisse als negativ formuliert werden, die zu Hochbegabten genauso gehören wie ihr hoher IQ.
Aber dazu komme ich später. Jetzt erstmal ein kleiner Exkurs in die Psychologie:
Die Psychologie beschreibt das Verhältnis von Menschen zu Innen- und Außenwelt mit den Worten Extraversion und Introversion. Diese Worte sind zwei Pole, und jeder Mensch wäre demnach irgendwo zwischen diesen beiden Polen zu verorten. Bei Wikipaedia werden als typische Charaktereigenschaften introvertierter Menschen “still, sorgfältig, scheu, reflektierend und zurückgezogen” genannt. während extravertierte Charaktere “gesprächig, bestimmt, aktiv, energisch, dominant, enthusiastisch und abenteuerlustig” seien.
Bevor wir weitergehen eine kurze Zwischenfrage. Welche Beschreibung klingt populärer? Welcher Typ wird in Kontaktanzeigen oder Stellenangeboten eher gesucht? Wer klingt sympathischer? Wer wird eher Bundeskanzler(in)?
In der Psychologie mag man die Pole vielleicht neutral betrachten – kulturell werden sie unterschiedlich bewertet. Es ist doch viel cooler extravertiert zu sein als introvertiert, oder?
Und mit welchen dieser Eigenschaften identifiziert Ihr Euch auf positive Art?
Mir selbst fällt es relativ schwer stolz auf Stillheit, Zurückgezogenheit und Scheu zu sein.
Leichter wäre es vielleicht, wenn man die Eigenschaften so formulieren würde: schwätzt nicht, wenn sie nichts zu sagen hat, kann gut allein sein und ist vorsichtig…
Aber zurück zur Psychologie: Es gibt Fragebögen anhand derer man ermitteln kann, ob eine Person eher extravertiert oder introvertiert ist.
Wenn Hochbegabte oder Hochkreative diese Listen ausfüllen taucht jedoch oft eine Besonderheit auf: sie sind extravertiert und introvertiert. Sie müssten also eigentlich in der Mitte zwischen diesen Polen eingetragen werden – und damit hätte man Hochbegabte wieder mal grässlich missverstanden. Sie sind nämlich nicht einfach ein bisschen extravertiert und ein bisschen introvertiert, sondern zeigen oft beide Eigenschaften in extremen Maße, sie sind still und gesprächig und scheu und aktiv und reflektierend und enthusiastisch und zurückgezogen und sorgfältig und dominant und abenteuerlustig. Allerdings nicht gleichzeitig.
Dazu demnächst mehr. Aber wenn Ihr grad ein paar freie Minuten habt, versucht doch mal, einzuschätzen, wie viel von Eurer Zeit ihr extravert seid – nach außen gerichtet, auf der Suche nach Austausch und Kontakt, offen für neues und wie viel Zeit ihr introvert seid – mit euren eigenen Gedanken und Gefühlen beschäftigt, freiwillig allein, in der Innenwelt? Seit ihr auch extravertiert und introvertiert?
Fifty-fifty? 1 zu 100? Wo liegt für Euch der goldene Schnitt?