
Als ich anfing, an meinem kreativen Businessplan zu arbeiten, stellte ich mir vor, dass ich mich als ersten Schritt mit meinen Werten beschäftigen müsste. Ich hab jede Menge Bücher über soziales Unternehmen gelesen, sehr bewegende und inspirierende Biografien und Pamphlete von sozialen UnternehmerInnen wie Anita Roddick, Tony Hsieh, Adam Braun und Blake Mycoskie. Und ich bin mir sicher, dass ich diese Bücher noch sehr gut werde gebrauchen können – aber nicht im ersten Schritt. Denn das Nachdenken über die Wege und Werte dieser Unternehmer hat mich von dem weggeführt, was ich doch gerade als Ausgangspunkt nehmen wollte: Das was mein Herz zum Funkeln bringt. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik, wie ich es immer wieder schaffe, mich selbst auf Umwege zu bringen. Aber gut – inzwischen habe ich es ja begriffen. Und auch, warum es so schwer ist, mich erst mal auf das zu konzentrieren, was mir selbst wirklich wichtig ist. Ich habe eben nie gelernt, meine Träumen zu hören.
1. Unerhörte Träume
Ich habe mir auch nie erlaubt, meinen Träumen wirklich zuzuhören. Ihnen mit Zeit, Geduld und Offenheit zu lauschen, bis sich sich mir in allen Details erzählt haben. Sie nicht gleich nach den ersten drei Sätzen zu unterbrechen und zu rufen: “Ich weiß, was du meinst”. Sie nicht gleich mit Etiketten zu belegen: “Aha, ein Kleinverlag”. Und ihnen nicht mit voreiligem Geplane die Luft zum Atmen zu nehmen: “Jetzt sind schon drei Monate vorbei und wenn du bis zur Buchmesse zwei Bücher veröffentlichen willst, dann aber los!”
Träume sind wild und groß und frech und vor allem neu und unbekannt (sonst wären es ja keine Träume). Das macht Angst. Und verlockt dazu, das Wilde und Unbekannte zu bremsen und es so schnell möglich zu entängstigen. Sie zu zähmen und zu beschneiden und so lange an ihnen herumzudrücken, bis sie handlich sind und wir sie erkennen. Weil wir genau das schon mal irgendwo gesehen haben. In echt oder im Fernsehen oder in einer Hochglanzzeitschrift.

Träume brauchen Zeit und Raum. Sie erzählen sich nicht innerhalb einer bestimmten Frist. Im Gegenteil: Wenn wir unseren Träumen eine Deadline stellen, verziehen sie sich entmutigt oder sie versuchen sich hysterisch in eine machbare Form zu zwängen. Nur wenn wir ihnen wirklich Raum geben, ihnen erlauben sich breit zu machen und mit all ihren Schnörkeln zu entfalten, trauen sie sich aus ihren Schlupfwinkeln.
Was dann kommt ist anders als erwartet und überraschend und frisch. Und doch, sobald sie sich erzählen, erkenne ich sie schon, diese Träume. Denn ich weiß wo sie herkommen – nämlich direkt aus dem Herzen – und ich verstehe, was sie mir bedeuten.
2. Die Träume der Anderen
Mir zuhören heißt auch, meine Träume auf sanfte aber bestimmte Weise vor den Träumen der Anderen zu schützen. Das ist gar nicht so leicht.
In den letzten Monaten hat mich immer wieder überrascht, wie stark andere auf meine Verlagsgründung reagierten. Ganz toll waren die vielen „Mach das!“ und „Großartige Idee!“-Rufe. Und ich bekam ganz viele liebe Angebote, mein Vorhaben zu unterstützen. Ganz vielen lieben Dank dafür! Doch manchmal, nachdem die ersten Begeisterungsschreie verstummt waren, geschah etwas Lustiges: Dann erzählten mir die Anderen wie sie sich meinen Verlag vorstellten.

Am Anfang haben mich diese Kommentare irritiert. Denn der Verlag in meinem Kopf sah ganz anders aus. Die Anderen sprudelten mit ihren Ideen schon los, bevor ich dazu gekommen war, meine zu schildern. Doch dann fiel mir ein, dass ich oft genau so auf die Ideen von Freunden reagiert hatte. Erzählte Anna mir von ihrer Idee, ein Café zu eröffnen, sah ich Holztische und Vasen mit frischen Blumen vor mir und jede Menge Kunst an den Wänden. Und als Anton mir von seinen Theaterplänen erzählte, träumte ich für ihn begeistert von einer ganz neuen Art Marionettentheater. Natürlich hatten Anna und Anton selbst ganz andere Ideen.
Vielleicht (nein, sicher), wäre es höflicher, erst nachzufragen, was genau die Anderen sich erträumen, bevor man die eigenen Ideen dazu loslässt. Aber andererseits – ist es nicht wunderbar, wie ansteckend Träumen ist? Wie wir einander mit unseren Wünschen und Ideen inspirieren und einander verleiten, schlummernde oder längst vergessene Träume wieder zu beleben? Ist es nicht ganz bezaubernd, wie Träume, Funken gleich, durch den Raum fliegen und sich vermehren? Solange wir anderen unsere Ideen nicht aufdrängen, sondern einfach genießen, dass es so viele wunderbare Träume gibt, kann doch nichts passieren. Denn Ideen kann es nie genug geben. Und Träume nie zu viele. Seit ich mir das klargemacht habe, kann ich entspannt lächelnd den Anderträumen zuhören und sie in Gedanken in eine Dose schieben die heißt: “Wie andere sich meinen Verlag vorstellen”. Ich bin mir sicher, in einer späteren Phase werde ich diese Ideen gut gebrauchen können. Sie helfen mir dann bestimmt, meine Ideen mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Aber jetzt noch nicht – jetzt geht es nur um meine eigenen Verlagsträume.
[box type=”warning”] Bevor du weiterliest: Hast du auch einen Verlagstraum? Wie stellst du dir den idealen Verlag vor? Wer arbeitet da? Wie sehen die Räume aus? Und vor allem: Was für Bücher entstehen dort? [/box]
3. Lernende Träume
Was, ich soll nur zuhören? Wie können sich meine Träume denn dann entwickeln? Ich will doch, dass sie wachsen und lernen. Muss ich sie nicht testen und prüfen? Schauen ob sie verwirklichbar sind?
“Sorgfältig prüf ich meinen Plan; er ist groß genug; er ist unverwirklichbar” – hat Brecht geschrieben. Es ist ein großer Irrtum, dass wir unsere Träume beschneiden und kritisieren und auf Machbarkeit prüfen sollen. Pläne machen wir mit dem Verstand, Träume mit dem Herzen. Wenn wir an unseren Träumen rumschnibbeln, nehmen wir uns das, was uns den Mut gibt, unsere Pläne voranzubringen: Eine Vision, die aus dem Herzen kommt und mit Herzkraft angetrieben wird. Es geht nicht darum, die Träume auf Machbarkeitsniveau zusammenzuschrumpfen. Das Machbare, das was wir auf unsere To-Do-List schreiben, das sind Pläne. Pläne sind auch wichtig. Sie helfen uns, das Schaudern zu ertragen, das uns überkommt, wenn wir die Größe unserer Träume erkennen. Pläne helfen uns auch, den Mut zu behalten, weil sie uns erlauben, einen kleinen Schritt nach dem anderen zu machen. Sie helfen uns, unsere Pläne immer wieder an unseren Träumen zu messen.
Aber unsere Träume? Die brauchen wir genau so ungestüm und unglaublich, wie sie in uns auftauchen. Und so bunt und glühend, wie sie uns durch die Adern strömen. Es ist der Kontrast zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte, der uns in Bewegung bringt. Und immer weiter treibt. Auch wenn Plan A erfüllt ist. Und Plan B auch. Denn Träume sind größer als all unsere Pläne. Es ist keine Schande, am Ende unseres Lebens unsere Träume nicht in all ihrer Größe wahrgemacht zu haben – dafür sind sie da. Eine Schande – oder einfach sehr schade – wäre es, wenn wir vor lauter Pläneschmieden und Planerfüllung vergessen, was wir eigentlich wollen. Was da in uns glüht und ruft: Ich bin dein Traum, lass dich verlocken, lass dich mitnehmen ins Abenteuer.
Wenn unser Plan kein Abenteuer ist, ist er zu klein. Dann haben wir nicht mal versucht, einen Zipfel unseres Traums zu erhaschen, sind im Morast der Vernünftigkeit steckengeblieben. Das Schwierigste bei der Arbeit an meinem Businessplan war genau das: Immer wieder Pläne über Bord zu werfen und Kurs aufs Abenteuer zu nehmen. Nicht zu früh festzulegen, nicht zuviel zu rechnen, nicht zu kleine Brötchen zu planen und nicht zu früh das Festland anzusteuern.

4. Wachsende Träume
Träumen ist schön, aber auch sehr viel Arbeit. Tatsächlich bin ich ausnahmsweise mal richtig stolz auf mich, weil ich mich selbst immer wieder mitgerissen habe, mich herausgefordert noch ein bisschen mehr Wind zu fassen und mich ganz vorn aufs Boot zu stellen, wo die Gischt mir um die Ohren wehte. Und hier und da hab ich schon eine Ahnung von meinem Traum bekommen. Es ist nicht der, den ich dachte. Er ist wild und überraschend. Lustig und ernst. Bunt und voller Tiefgang. Ein Traum eben.
Heißt das, dass Träume stillstehen? Dass sie sich nicht entwickeln? Dass ich nichts an ihnen verändern darf? Quatsch – natürlich verändern sie sich. Aber nicht, weil ich das mit dem Kopf entscheide. Nicht weil ich sie zu Plänen degradiere oder ihnen die Abenteuerlichkeit nehme. Sondern weil ich mich verändere. Weil mein Herz sich verändert. Weil mit allem, was ich tue, mit jedem Gespräch, das ich führe und jedem Schritt, den ich ins Ungewisse setze, meine Erfahrung wächst. Und mit meiner Erfahrung wächst mein Traum. Ich und mein Traum – wir lernen zusammen, wir wachsen zusammen.
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Und was genau erträume ich mir für den Zacken-Verlag? Das kommt dann nächste Woche.
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Ein kleines Update. Diesen Artikel hab ich vor zwei Jahren geschrieben. Den Verlagstraum gibt es noch, der Zacken Verlag hat jetzt schon sechs Produkte veröffentlicht und die nächsten sind in Arbeit. Das Bücherachen macht genauso viel Spaß, wie ich erwartet habe. Aber der Verlagstraum hat mir noch viel mehr Schönes gebracht. Ich habe wunderbare Menschen kennengelernt und mich in vielen neuen Rollen ausprobiert (von der Verlagsvertreterin bis zur Finanzfrau), bin jetzt auch Bücherfrau und Gewerbetreibende, und ich freu mich immer wieder, wenn ich mich als Verlegerin vorstelle. Denn, und da war ich mir am wenigsten sicher, ob dieser Teil mir liegen würde: Mir macht das Unternehmen Spaß. Es macht mir Spaß, zu planen und zu kalkulieren, zu netzwerken und zusammenzuarbeiten. Und es macht mir Spaß, dass all die vielen Seiten meiner Persönlichkeit jetzt unter einem Dach zusammenleben können. Manchmal führt das zu inneren Kämpfen, wenn die Illustratorin und die Grafikerin sich nicht übers Papier einigen können oder die Nachhaltigkeitsbeauftragte und die Finanzfrau unterschiedliche Druckereien beauftragen wollen. Wenn die Autorin das Manuskript nicht rechtzeitig abschickt und die Verlegerin darum den ganzen Tag knatschig ist. Aber jeder dieser inneren Kämpfe lässt mich wieder etwas lernen, meinen Traum vertiefen und mir neue Abenteuer ausdenken. Wie schön, dass Träume mitwachsen.