Sieben gute Gründe für den eigenen Verlag

Seit ich den Zacken Verlag gegründet habe, bekomme ich nicht nur jede Menge sehr positiver und unterstützender Reaktionen. Sondern immer wieder auch die eine Frage: “Warum hast du dich entschieden, einen eigenen Verlag zu gründen?” Ich habe lange über diese Frage nachgedacht – es scheint mir wichtig, dass ich mir über die Motive meiner Gründung im Klaren bin. Dass ich nicht falschen Idealen oder alten Wahnbildern hinterherlaufe, sondern wirklich das tue, was für mich jetzt und heute richtig ist. Trotz oder wegen allen Nachdenkens kann ich nicht in zwei Sätzen antworten. Hinter meiner Entscheidung liegt ein langer Prozess. Angefangen hat er schon, als ich gerade erst lesen konnte.

 

1. Bücher machen

Es gibt wenige Erinnerungen aus meiner Kindheit, die sich in mir so lebendig erhalten haben, wie die an meinen ersten Besuch auf der Frankfurter Buchmesse. Ich muss damals um die sieben gewesen sein. Viel von dem, was die Erwachsenen dort miteinander besprachen, habe ich nicht verstanden, aber eins begriff ich bis in mein kleines waches Herz: Diese Leute machten Bücher! BÜCHER!!!! Das musste man sich mal vorstellen! Es hätte mich nicht mehr beeindrucken können, wenn sie Geld oder Gold gemacht hätten.Männer mit Bärten reden über Bücher

 

Und noch eins war mir sofort klar: Das will ich auch! Ich träumte nicht wie andere Leseratten in meinem Alter davon, Schriftstellerin zu werden. Mir ging es nicht nur ums Schreiben – so gerne ich das auch gemacht habe – oder das Zeichnen – so fasziniert ich auch davon war. Bücher waren für mich immer schon ein Gesamtkunstwerk, aus Einband und Seiten, Bildern und Schriften, Worten und Geschichten. Und bei einem guten Buch passt alles zusammen: Vom Gefühl, wenn man mit den Fingern über den Einband streicht, über das Gewicht des Buches auf dem Schoß, der Spannung beim Öffnen der Seiten (und wie weit ich meine damals noch kleinen Arme dabei ausbreiten musste), dem Geruch des Papiers, seiner Farbe und Struktur (weiß oder gelblich, glatt oder offen?) und dann wie sich Text und Bild in diesem Zusammenspiel verhalten. Wie der Blick vom Text zum Bild schweift. Wie Sätze frei auf Seiten schweben oder Wort an Wort sich auf dem Papier drängen. Wie jeder Aspekt eines Buches einen Teil der Geschichte erzählt.
Das Allertollste an Büchern aber ist: Man kann sie machen. Man braucht nicht Gott zu sein oder Alchimist. Man braucht auch keine Erwachsenen dafür und muss nicht um Erlaubnis fragen. Man braucht nur Papier und Stifte. Und Leim oder Tesafilm. Das ist alles. Dann hat man ein Buch!!! (Ich hab auch Bücher aus Stoff, Blättern, Cornflakeskarton und einem alten Telefonbuch gemacht. Und gebunden habe ich sie mit Garn, Schrauben, Papierstreifen, Draht oder gar nicht – dann waren es Faltbücher). Wieviele Bücher ich schon gebastelt habe? So um die Hundertmillionentausendsiebenzwölfneunzehndrei.

 

2. Bücher mit Geist machen

Meine ersten Bücher habe ich (mit)veröffentlicht als ich noch sehr jung war, in den Niederlanden, wo ich nach meinem Studium in Amsterdam geblieben war. Die Erfahrungen waren nicht so toll. Zwischen der tollen Buchidee und dem fertigen Produkt lagen Welten. Ein Buch habe ich gar nicht mehr erkannt, als es im Buchladen lag. Das war kein schönes Gefühl. Damals nahm ich mir vor, sowas nie mehr mit einem meiner Bücher geschehen zu lassen. Natürlich kann ich auch heute nicht all meine tollen Buchideen eins zu eins verwirklichen. Manches geht technisch einfach noch nicht (Fliegendes Buch). Anderes wäre so teuer in der Produktion, dass niemand das Buch kaufen könnte (handgemachte Bücher) oder nur sehr reiche Leute und das ist ja nicht der Sinn von Büchern. „Macht Bücher billiger“ rief Brecht, und das habe ich nicht vergessen.  Die Kompromisse, die ich mache, um ein Buch zu realisieren, müssen zu seinem Inhalt passen. Der Geist des Buches darf nicht verlorengehen.

Daran festzuhalten ist sehr schwer, wenn ich mit Verlagen zusammenarbeiten will. Die meisten Verlage scheinen sich nicht so sehr für den Geist eines Buches zu interessieren, sondern denken mehr darüber nach, in welches Regal es passt. Kolleginnen haben von ihren Lektoren deshalb so absurde Vorschläge bekommen wie: „Machen Sie doch aus dem Protagonisten ein Mädchen – dann verkauft das Buch sich besser“. „Flechten Sie noch eine Liebesgeschichte ein, sowas mögen unsere weiblichen Leser“. „Können Sie noch ein paar Tiere einbauen? Das verkauft sich im Moment gerade sehr gut“. „Wir können ihr Buch in unserem Fantasyprogramm veröffentlichen, aber dann müssen da noch ein paar Elfen oder Drachen rein“.  „Streichen Sie all die Informationen aus Ihrem Technikbuch für Kinder – wir machen ein Kritzelbuch draus“.

Ich will keine Zugeständnisse mehr an die Qualität meiner Bücher machen. Natürlich kann man über das Wort „Qualität streiten“. Für mich hat Qualität mit Geist zu tun.

Ein Buch, in dem Geist steckt

 

3. In meinem Tempo Bücher machen

Noch ein großer Nachteil an der Zusammenarbeit mit Verlagen ist für mich das Tempo. Verlage planen sehr langfristig und arbeiten langsam. Im Vergleich: Ein Bilderbuch von 30 Seiten, das ich in einem Monat bei bod veröffentlichen kann, braucht, wenn ich mit einem Verlag zusammenarbeite, eher anderthalb bis zwei Jahre. Dadurch kann ich nicht auf aktuelle Themen eingehen. Vor allem aber hindert das meinen kreativen Prozess. Denn ich kann in der Zeit während der Verlagsverhandlungen eigentlich nicht an dem Buch arbeiten – zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Verlag Änderungswünsche hat und ich alles nochmal überarbeiten oder gar ganz neu anlegen müsste. Ich will an meinem Projekt zeitnah arbeiten, wenn meine Begeisterung noch ganz frisch ist. Liegt das Exposé schon ein Jahr in der Schublade, wenn der Verlag sich meldet, dann bin ich inzwischen vielleicht mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Natürlich KANN ich mich an den Rhythmus der Verlage anpassen, aber ich will es nicht. Für meinen eigenen Verlag hab ich dieses Jahr  schon zwei Bücher fast druckfertig gemacht, zwei weitere sind halb fertig – wenn ich wollte (und das Geld hätte) könnte ich alle dieses Jahr noch veröffentlichen. Beim Tempo motivierter SelbstverlegerInnen kann kein großer Verlag mithalten.

Schnecke mit Aufschrift Verlag

4. Gerechte Bücher machen

Meine Erfahrung und die vieler Kolleginnen, mit denen ich im letzten Jahr geredet habe, ist: Die großen Verlage haben UrheberInnen immer weniger zu bieten. Denn:

  • Sie zahlen schlechter: AutorInnen, IllustratorInnen und ÜbersetzerInnen bekommen oft nur noch die Hälfte von dem, was vor zehn Jahren üblich war.
  • Was früher selbstverständlich war, ist es jetzt nicht mehr: Marketing, Zusenden der Druckfahnen, festangestellte Lektorinnen, die Autoren über Jahre begleiten.
  • Verlage sichern sich alle Rechte, die denkbar sind.
  • In den meisten Verlagsverträgen steht, dass die Autorin innerhalb einer bestimmten Zeit (zum Beispiel 5 Jahre) kein ähnliches Werk veröffentlichen kann, das diesem Werk Konkurrenz machen könnte. An sich aus Sicht des Verlages ein recht verständlicher Wunsch. Für mich als Kreative aber ungünstig.
  • Arbeite ich mit kleinen Verlagen zusammen, bekomme ich genauso wenig Tantiemen, oft nicht mal einen Vorschuss, aber muss doch alle Rechte abgeben. Zudem kommen die Bücher kleiner Verlage oft genauso wenig in die meisten Buchläden wie die von Selfpublishern. Und kleine Verlage haben meist noch weniger Budget fürs Marketing als große.

Natürlich habe ich als Selfpublisherin noch weniger Budget fürs Marketing und noch mehr Probleme, in den Buchladen zu kommen, aber ich bekomme deutlich mehr Prozente vom Erlös. Ob ich am Ende am Buch auch mehr verdiene wird sich zeigen – schließlich bekomme ich bei den großen Verlagen einen Vorschuss, den ich nicht zurückzahlen muss, auch wenn sich kein einziges Buch verkauft. Aber für mich fühlt sich das Selbstverlegen im eigenen Verlag einfach besser an. Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, mich so schlecht bezahlen zu lassen. Wie kann es sein, dass alle VerlagsmitarbeiterInnen, BuchhändlerInnen und Grossisten vom Handel mit Büchern angemessen bezahlt werden, aber die UrheberInnen (AutorenInnen, ÜbersetzerInnen und IllustratorInnen) nicht? Da stimmt doch etwas Grundlegendes nicht.

Autorin bekommt ein kleines Stück vom Kuchen – das ist im eigenen Verlag anders.

UrheberInnen sollten mehr bekommen als ein paar Prozent.

5. Bücher gestalten

Vielleicht fällt mir die Entscheidung zur Verlagsgründung leichter als anderen AutorInnen, weil ich auch Grafikerin bin. Ich weiß, wie man ein Buch für den Druck vorbereitet. Ich kann vom Cover bis zum Klappentext alles selbst machen. Außerdem verfüge ich über ein Netzwerk, in dem sich viele tolle Lektorinnen, Marketing- und PR-Fachfrauen tummeln. Ich weiß, wo ich die kompetente Unterstützung bekommen kann, die ich für meine Buchprojekte brauche. Und das finanzielle Risiko und der Aufwand sind viel geringer als früher: Kleine Auflagen lassen sich heute kostengünstig drucken (Ebooks haben selbst gar keine Druckkosten) und Dienstleister wie bod oder Amazon können VerlegerInnen eine Menge Arbeit abnehmen. Dem eigenen Verlag scheint nicht mehr viel im Weg zu stehen!

 

6. Bücher verschicken

Heute frage ich mich eher, warum es so lange gedauert hat, bis ich mich entschieden habe, meinen eigenen Verlag zu gründen. Vielleicht hatte ich so oft gehört, dass kleine Verlage keine Chance haben, dass ich den Wunsch gar nicht erst zugelassen habe. Vielleicht auch hat es mit meinem Bild von Verlegern zu tun – die Verleger in  meiner Erinnerung sind Männer mit runden Bäuchen und vollen Bärten, die mit schwierigen Worten über schwierige Bücher reden. Nicht wirklich geeignet als Identifikationsfigur. Vor allem aber hab ich wohl gedacht, dass VerlegerInnen nur die Bücher von anderen veröffentlichen. Und auch wenn mich das für die Zukunft reizt, erst brennen mir ein paar eigenen Projekte auf der Leber, die unbedingt in die Welt wollen. Ich musste erst die Welt der kleinen Comics kennenlernen. Das war eine Entdeckung: Übers Netz für ein paar Dollar oder Pfund kleine liebevoll handgemachte Comics kaufen. Die in liebevoll verpackten und signierten Päckchen dann den Weg über den Ozean in meinen Briefkasten fanden.

Durch den Briefkästen fällt ein handbeschriftetes Päckchen: So wünsch ich mir den eigenen Verlag

Bestell doch auch mal einen Comic direkt bei einer KünstlerIn – nichts schöner, als solche Überraschungs-Päckchen.

7. Erwachsen Bücher machen

Zum Schluss hat bei der ganzen inneren Diskussion aber ein Argument gewonnen: Ich bin erwachsen! Ich kann und ich will die Verantwortung für meine Bücher selber übernehmen. Ich brauche niemanden, der mir Zustimmung gibt, ob ich etwas veröffentlichen darf. Was AutorInnen sich alles gefallen lassen! Keine MalerIn käme auf die Idee in ihr Gemälde ein bisschen mehr rot oder ein paar kleine Maikäfer einzubauen, nur weil ein Galerist meint, so verkaufe es sich besser. Irgendwann habe ich für mich entschieden, dass ich als Autorin und Illustratorin genau so arbeiten will, wie meine malenden Freunde. Jetzt will ich auch als Verlegerin so arbeiten: Jedes Buch ist ein Gemälde, eine Skulptur, ein Stück Graffiti auf einer Häusermauer. Ich habe keine Angst davor, meine Arbeiten in die Welt zu schicken. Wem sie gefallen, der möge sich an ihnen erfreuen. Wem sie zu dies oder zu das sind, der möge sie ignorieren oder nach Belieben zerreißen.

Bunte Schrittte für den eigenen Verlag

Als Verlegerin setze ich jetzt auch auf Mut und Spaß (Illustration: Nathalie Bromberger)

 

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