Wo kreative Kinder wachsen…

Wenn wir unseren besonderen Kindern gerecht werden wollen, müssen wir uns erst mal leer machen. Leer machen von all den Vorstellungen von Erziehung, die auf irgendeiner Idee von Normalität basieren. Die auf Normen basieren, an die wir selbst nicht glauben und die unseren Kindern nicht gut tun würden.
Jede von uns hat im Laufe ihres Lebens jede Menge solcher Auffassungen geschluckt. Ich kann sie in mir hören, wie ein Radio, das leise ansteht, und empfange dann so wunderbare Aussagen wie:
“Sie muss gehorsam lernen. Sie muss akzeptieren, dass sie noch ein Kind ist und nicht wissen kann… Wenn man dem Kind keine Grenzen stellt, dann… Eine zweijährige kann noch nicht wissen, was gut für sie ist… Ein bisschen Abhärtung schadet nicht…”
All das will meine Erziehung beeinflussen. Aber es sind eben Glaubenssätze, die weder wissenschaftlich bewiesen noch für meine Kinder speziell formuliert wurden, oft Unsinn, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde, aus Unsicherheit der Eltern, aus Angst von der Norm abzuweichen, aus Angst, etwas falsch zu machen.
Kind liegt kreischend auf dem Boden
Ich war oft hin- und hergerissen. Mir meiner noch nicht sicher genug, um solche doofen Sprüche sofort abzuwehren.

Hör dir erst mal selbst zu, bevor du den anderen zuhörst. Woran glaubst du?
Ich zum Beispiel glaube daran, dass Kreativität wichtiger ist als Gehorsam, dass Kinder Ruhe und Zeit zum Spielen und ja: auch zum Denken brauchen, dass sie sich gut entfalten werden, wenn wir ihnen positiv und neugierig begegnen, wenn wir uns mit ihnen an ihren Entdeckungen freuen können, wenn wir ihnen den Raum geben, selbst Entdeckungen zu machen und ihre eigenen Wünsche und Eigenheiten zu entwickeln. Ich glaube daran, dass Eigenheit gut ist, dass Fragen wichtig sind, dass Kinder sehr gut wissen, was sie brauchen und uns das auch zeigen, dass uns Erwachsenen der Spaß am Leben und an der Arbeit oft schon früh abtrainiert wurde und das Leben mit Kindern uns die Chance bietet, unsere eigene Neugier und Kreativität wieder zu entdecken, dass jedes Kind gut ist, so wie es ist und dass Erziehung vor allem bedeutet zu entdecken, wie dieses Kind ist und was es braucht.

Wenn ich mir zuhöre, kann ich meine eigenen Glaubenssätze aufstellen. Dann brauche ich nicht mehr wahllos zu schlucken, was andere mir vorkauen. Und wenn ich mir meine eigenen Glaubenssätze aufschreibe und bewusst mache, kann ich mir gleichzeitig auch klar machen, dass es eben meine sind. Dass es für dieses Kind nicht die richtigen sein müssen, dass ich immer wieder fragen, schauen und erfahren muss, ob dies der richtige Weg ist.

Vertrau deinem Kind. Es ist prima. Es ist anders, aber es ist wunderbar. Sei froh, dass es anders ist und kein Klon. Kein Kind aus der Konservendose, kein Idealkind, sondern ein echter Mensch, klein noch, aber schon ganz da.

Kind steht im Kinderwagen und weist die Richtung an
Rückblickend wünsche ich mir vor allem mehr von diesem Vertrauen. Gerade bei meiner ersten Tochter hab ich noch viel dieser Sprüche im Kopf gehabt, deshalb öfter gezögert als nötig, deshalb nicht immer so reagiert, wie ich es jetzt tun würde, habe mich verwirren lassen. Dann aber hat sie mir immer schnell wieder den richtigen Weg gezeigt. Und ich habe entdeckt, dass eine Zweijährige schon unglaublich gut wissen kann, was sie braucht. Dass eine Vierjährige schon unglaublich viel Autonomie haben kann. Dass eine Sechsjährige über Moralvorstellungen verfügen kann, die manch Erwachsener nicht aufbringt. Dass ich mich vollkommen leer machen muss, von allem, was ich gelernt habe, wenn ich diesem einzigartigen Kind ein guter Wegbegleiter sein will.
Und dass ich darauf vertrauen kann, dass wir zusammen, mit unser beider Einzigartigkeit, den Weg schon finden werden.
So leicht verirrt man sich nicht.

Ich war oft ziemlich orientierungslos. Meine Kinder nicht. Ich war oft ziemlich orientierungslos. Meine Kinder nicht.

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Jedem Kind ein Buch (seiner Wahl)

Kind sitz mit Kinderbüchern auf dem Boden
Ich bin nicht mit viel Luxus aufgewachsen – so gut wie alles in unserer Wohnung stammte vom Flohmarkt und auf Kleidung wurde wenig wert gelegt. Aber auf einem Gebiet war ich wirklich reich: Wir Schwestern hatten ganz bestimmt einen der größten und abwechslungsreichsten Bücherschränke, den Kinder meiner Generation haben konnten.

Manche der Bücher hatten meine Eltern ausgesucht, wie die wunderbaren Kronenklauer. (Das allererste Mitmachbuch und ganz bestimmt einer der Auslöser dafür, dass ich heute selbst Mitmachbücher mache). Oder Ionescos Geschichten über Josette mit den grandiosen Bildern von Etienne Delessert. Wären aber nur meine Eltern für den Inhalt des Schranks verantwortlich gewesen, wäre er sicher nicht halb so variiert gewesen. Ich hätte dann wohl weder das niedliche Buch von der kleinen maotreuen Chinesin gehabt, die als Ärztin ihre Kuscheltiere versorgte (das hatte ich von maotreuen Bekannten bekommen) noch “Nesthäkchen und der Weltkrieg” (noch von meiner Oma) oder “Hanni und Nanni” (Geschenk einer Freundin) – alles drei Bücher, die ich sehr geliebt habe. Und keins davon wurde wohl je von Kinderbuch-Rezensenten empfohlen.

Mit meinen eigenen Kindern hatte ich kürzlich ein sehr aufschlussreiches Gespräch über deren Bücherschrank. Ja, für ein paar der Lieblingsbücher waren wir Eltern verantwortlich. (Alles von Annie M.G. Schmidt und Heimatlos zum Beispiel). Aber andere hätte ich nie und nimmer freiwillig ins Kinderzimmer gelassen. Sie wurden von Babysittern oder Nachbarn beigesteuert. 365 Geschichten vom scheußlich kitschigen Bärchen, Glitzerbücher mit pseudotiefsinnigen Friedensbotschaften, bei deren Anblick ich akut Krätze bekomme, schlechtest gereimte Einschlafbücher – sie entlocken meinen jugendlichen und erwachsenen Töchtern jetzt nostalgische Sehnsuchtsseufzer und “Oh-das-war-so- toll.-Haben-wir-das-noch,-das-will-ich-unbedingt-noch mal-lesen”-Rufe. Wie gut, dass ich mir nicht erlaubt habe, den Bücherschrank zu zensieren: Die Gefahr wäre groß gewesen, dass ich genau das Kinderbuch entfernt hätte, das später so ans Herz wachsen sollte. Genau wie mich der bunte Mix meiner Jugend bereichert hat, so haben auch meine Töchter ihren eigenen Geschmack entwickelt.

Denn Kinder wissen selbst am besten, welches Buch das richtige für sie ist. Und wir sollten ihnen die Gelegenheit geben, es zu finden. Deshalb sollte jedes Kind mindestens einmal im Jahr einen Büchergutschein bekommen, mit dem es sich ein Buch seiner Wahl aneignen kann. Freie Kinderbuch-Wahl
Am besten gibt man den Kindern beim Betreten des Buchladens Ohrstöpsel.

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